Das Fortschrittsprinzip erklärt
Teresa Amabile (2011) schreibt in The Progress Principle über die Bedeutung des Fortschritts in der Arbeit. Um die Bedeutung des Fortschritts bei der Arbeit zu verstehen, ist es zunächst sinnvoll, den Einfluss der Arbeitswahrnehmung auf die Leistung zu beschreiben.
Untersuchungen von Amabile, bei denen fast 250 Personen über einen längeren Zeitraum ein Tagebuch führten, haben eindeutig gezeigt, dass Menschen mit positiven Arbeitserfahrungen kreativer und produktiver sind. Dies gilt insbesondere für Wissensarbeiter.
Die Arbeitswahrnehmung umfasst drei Faktoren:
- Emotionen;
- Wahrnehmungen;
- Motivation.
Die Forschungsergebnisse von Amabile zeigen, dass (1) zufriedene Mitarbeiter, (2) eine positive Wahrnehmung der Kollegen und der Organisation als Ganzes und (3) intrinsische Motivation zu besseren Leistungen führen. Natürlich wäre es für jede Organisation interessant, diese Dynamik weiter zu erforschen.
Als Amabile und ihren Kollegen klar wurde, wie wichtig Emotionen, Wahrnehmungen und Motivation sind, stellten sie die Frage: Welche Ereignisse am Arbeitsplatz beeinflussen die Wahrnehmung der Arbeit am stärksten?
Aus denselben Tagebüchern konnten die Forscher schließen, dass der Fortschritt (Progression) bei der Arbeit am stärksten mit der Arbeitserfahrung korreliert. An 76 % der Tage, an denen die Arbeitswahrnehmung positiv ist, erleben die Menschen einen Fortschritt bei der Arbeit. Fortschritte müssen nicht unbedingt groß und überzeugend sein; kleine Verbesserungen bei der Arbeit oder das Erreichen von Teilzielen haben die gleiche positive Wirkung.
Neben dem Fortschritt korrelierten zwei weitere Ereignisse stark mit einer positiven Arbeitserfahrung, nämlich Katalysatoren und zwischenmenschliche Anregungen. Katalysatoren sind Maßnahmen, die die Arbeit vorantreiben, wie die Bereitstellung der richtigen Ressourcen (Geld, Zeit, Fachwissen), das Setzen klarer und erreichbarer Ziele oder die Gewährung von Autonomie. Führungskräfte spielen hier eine wichtige Rolle.
Bei der zwischenmenschlichen Anregung kann man an die Ermutigung von Kollegen oder an Respektsbekundungen denken. Auch hier hat eine Führungskraft eine wichtige Vorbildfunktion.
Fortschritt, Katalysator und zwischenmenschliche Anregung haben alle ihre Entsprechungen. So kann es sein, dass man anstelle von Fortschritten Rückschläge erlebt, dass der Katalysator ausbleibt und man Hindernisse sieht und dass man anstelle von Anreizen Widerstand erfährt. Diese Faktoren wirken sich negativ auf die Arbeitserfahrung und damit auf die Leistung aus. Und das Ärgerliche ist: Die negativen Ereignisse bei der Arbeit überwiegen die positiven.
Anwendung: Das Fortschrittsprinzip und Scrum in einem Krankenhaus
In einem Krankenhaus lag ein schwieriges Projekt seit Jahren auf Eis: Das Pflegeportfolio musste angepasst werden. Der Bedarf wuchs, denn die Krankenversicherer verlangen ein bestimmtes Produktionsvolumen, bevor sie Pflege einkaufen, und dieses Volumen kann man als Krankenhaus nur erreichen, wenn man eine klare Auswahl im Pflegeportfolio trifft. Das führte jedes Mal zu der grundsätzlichen Frage: Worauf spezialisieren wir uns als Krankenhaus?
Das Projekt kam lange Zeit nicht in Gang, bis ein Scrum Team aus Medizinern, Datenanalysten und Wirtschaftsexperten zusammengestellt wurde. Dieses multidisziplinäre Team hatte die Aufgabe, ein Gesundheitsportfolio vorzuschlagen.
Nach nur zwei Sprints war das Team in der Lage, den Stakeholdern die Grundzüge des künftigen Portfolios zu präsentieren. Dieser greifbare Fortschritt sorgte für eine positive Arbeitserfahrung und hohe Produktivität im Team. Der Einsatz von Scrum wirkte aus mehreren Gründen als Katalysator: (1) es wurden klare, erreichbare Ziele gesetzt, (2) dem Team wurde Autonomie gewährt und (3) es wurden Ressourcen zur Verfügung gestellt (Zeit von medizinischen Experten und anderen Disziplinen und die Einrichtung eines schönen Scrum Raumes). Das Team ging respektvoll miteinander um und erhielt in Scrum Reviews die notwendige positive zwischenmenschliche Ermutigung von den Stakeholdern. Schließlich arbeitete der Scrum Master ständig an der Überwindung von Hindernissen, die das Team sah, und schaffte es, an verschiedenen Stellen im Krankenhaus Widerstand in Ermutigung umzuwandeln. Für das Krankenhaus resultierte dies in einer unterstützten Vision des Gesundheitsportfolios der Zukunft.
Die richtige Anwendung von Scrum sorgt dafür, dass Fortschritt, Katalysatoren und zwischenmenschliche Anregungen in einem Team reichlich vorhanden sind. Kein Wunder also, dass die Menschen die Arbeit in Scrum Teams als angenehm empfinden und mehr Kreativität und Produktivität zeigen.
